Tesla Model S – familientauglich? Ein Erfahrungsbericht

Tesla Model S 100D in schwarz

Für einen Monat, im Dezember 2019, hatte ich einen Tesla Model S 100D gemietet (via nextmove.de). Wir haben zwei Kleinkinder im Alter von 2 und 4 Jahren, der Jüngere sitzt noch in einem rückwärts gerichteten Kindersitz (Rear-Boarder). Ob drei Tage Wochenend-Trip oder zwei Wochen Urlaub – es ist jedes Mal ein Auszug aus Ägypten. Entsprechend wollte ich wissen:

Eignet sich ein Tesla Model S auch als Familienauto?

Update 29.07.2020: Ich habe mittlerweile kein Interesse mehr an Tesla. In den letzten Monaten habe ich einiges über Tesla und Elon Musks endlose nicht eingehaltene Versprechen gelesen. Das Internet ist voll mit gehypten Videos über den Autopilot. Den Vogel abgeschossen hat Musk mit der Behauptung, dass sie bis Ende 2020 Level 5-Autonomie erreichen werden. Das ist unmöglich. Zum einen, weil die technischen Möglichkeiten noch nicht so weit sind, zum anderen, weil Level 5 ein unerreichbares Ideal ist.

Mir ist der Hype zu groß und die Liste mit unerfüllten Versprechen und weiteren zweifelhaften Aussagen von Musk zu lang. Ich halte die Augen offen, was die Konkurrenz in den nächsten 2-3 Jahren rausbringt. Wer eine konträre Meinung zu Tesla lesen will, kann sich auf Twitter unter $TSLAQ umschauen.

Update 06.07.2021: Musk schrieb am 3.7.2021 in einem Tweet Folgendes:

Generalized self-driving is a hard problem, as it requires solving a large part of real-world AI. Didn’t expect it to be so hard, but the difficulty is obvious in retrospect.

Das setzt das ursprüngliche FSD-Demo-Video Paint it Black in einen völlig neuen Kontext. Im Video von 2016 wurde behauptet, dass das gesamte Video ohne Eingriff durch den Fahrer erfolgte (hat sich rausgestellt: Es wurde über 800 mal eingegriffen). Das Video ist auch nach wie vor auf der Tesla-Website online. Wenn Musk nun sagt, dass FSD schwieriger ist als gedacht (was jeder wusste, der sich auch nur für 2 Sekunden mit der Materie auseinandergesetzt hat), dann gibt er damit zu, dass das ursprüngliche Video Fake ist.

Warum hacke ich so auf dem optionalen Feature FSD herum? Muss man ja nicht dazu buchen?! Weil es sinnbildlich für alle Versprechen steht, die seitens Musk geäußert werden. Wenn die FSD-Angaben nicht passen, wie vertrauenswürdig sind dann Aussagen über Reichweite, Battierhaltbarkeit, Langlebigkeit der Komponenten, Garantiebekundungen usw.? Kann sich jeder selbst einen Reim drauf machen.


Normalerweise fahren wir einen VW Touran, Facelift-Version von 2016. Der VW Touran ist für uns das perfekte Familienauto. Nicht zu groß, nicht zu klein, viel Platz im Kofferraum, angenehme Sitzhöhe, angenehmer Einstieg, entspanntes Anschnallen der Kinder, speziell in rückwärts gerichteten Kindersitzen und auch als Beifahrer muss man die Knie nicht unters Kinn heben, wenn hinter einem der Rear-Boarder drin ist (im Gegensatz zum Mazda 3, den wir vorher hatten).

Ein Erwachsener kann relativ bequem hinten zwischen den Kindersitzen sitzen, ohne dass die Schultern oder die Hüfte eingequetscht wird. Es ist ein vollwertiger Sitz.

Der Vergleich eines 110 PS-Familienautos im Wert von rund 25.000 € mit einem 90.000 € Sportwagen mag etwas albern erscheinen, daher mögen Leser meines Erfahrungsberichts ihre eigenen Schlüsse ziehen.

Platzwunder Tesla Model S?

Ich hab natürlich erstmal im Internet gesucht, was andere dazu sagen und wieviel Platz ein Tesla Model S als Familienauto bietet. Das Kofferraumvolumen beträgt 840 Liter. Der Touran hat 834 Liter Kofferraumvolumen. Die zahlreichen YouTube-Videos über das angebliche Platzwunder Model S sind natürlich alle total sinnlos, wenn dabei die Sitze umgeklappt werden. Mir völlig egal, ob dann auch ein Fahrrad oder Weihnachtsbaum reinpasst. Entscheidende Fragen sind:

Es passt mehr rein als gedacht

Vollgepackter Kofferraum im Tesla Model S für eine Familie mit 2 Kleinkindern

Im Kofferraum ist unser Zeug für ein Wochenende:

Ich kann die erste Frage also positiv beantworten: Es hatte alles Platz, was wir mitnehmen wollten. Im VW Touran hätten wir kaum mehr mitnehmen können. Dort hätten wir den Anhänger außerdem um 90° gedreht reinstellen müssen. Der Kofferraum des Tesla Model S ist im Vergleich verdammt lang.

Platz bei Einstieg und Festschnallen der Kinder

Man muss sich im Vergleich zum VW Touran schon deutlich tiefer nach unten beugen, um die Kinder reinzusetzen und anzuschnallen. Ein riesiger Nachteil: Der Sitz des 4-Jährigen ist mit Isofix fixiert und relativ breit, so dass der Anschnaller direkt am Sitz ist. Ich konnte ihn meist nur anschnallen, indem ich mich mit einem Bein ins Auto stellte und sehr weit rein gelehnt habe.

Beim Rear-Boarder für den 2-Jährigen ist weniger Platz zum Einsteigen. Meist musste ich aufpassen, seinen Kopf nicht irgendwo anzuhauen. Das Anschnallen ist machbar, wenn auch nicht sehr komfortabel.

Familientauglichkeit des Tesla Model S während der Fahrt

Schön: Man kann als Erwachsener vorne bequem sitzen, auch wenn hinter einem der Rear-Boarder drin ist.

Blöd: Den Kindern fällt während der Fahrt eigentlich immer irgendwas runter. Flasche, Tiptoi, Buch, Spielzeug. Im Touran kann man sowohl mittig als auch außen am Sitz vorbei nach hinten greifen. Beim Tesla Model S geht das nur in der Mitte. Außen ist praktisch kein Platz. Es gab also Situationen, in denen wir dem Kind nichts aufheben konnten.

Auch blöd: Die Sicht ist für Kinder deutlich eingeschränkter. Unser 4-Jähriger mit ca. 110cm Körpergröße kann problemlos beim Touran aus dem Fenster schauen. Beim Tesla Model S kann er nur schräg nach oben schauen.

Der 4-Jährige sieht mit seinen 110cm Körpergröße nur schräg nach oben. Direkte Sicht nach draußen ist noch nicht möglich.

Noch blöder: Ein Erwachsener hätte zwischen den Kindern definitiv keinen Platz mehr. Im Touran sitzt man dort noch bequem, es ist ein vollwertiger Sitz. Im Tesla Model S quetscht man sich schon ziemlich rein und hat dann kaum noch Bewegungsfreiheit. Wir haben es gar nicht erst probiert (war auch nicht nötig). Das sieht in etwa so aus:

Mittlerer Sitz ist sehr eng im Tesla Model S zwischen Kindersitzen

Auch interessant: Unsere Kinder finden die 0-100 km/h in 3,8 Sekunden ziemlich cool. Allerdings nicht mehr, während sie ein Buch anschauen. Da gab es schon Beschwerden, wenn ich nur etwas zügiger als im Schneckentempo angefahren bin.

Sobald man dann angekommen ist, kommt die nächste Herausforderung: Der Ausstieg. Eltern kennen das – Kindern beim Ausstieg helfen ist in manchen Parkhäusern ohnehin schon eine Herausforderung. Das Tesla Model S ist 15cm breiter als der VW Touran und man muss sich mehr bücken. Nicht so angenehm.

Mein Fazit: Tesla Model S als Familienauto? Kann man machen, hat aber Nachteile

Klar, das Tesla Model S ist schon eine geile Karre. Allerdings sind die Abstriche beim Komfort schon relativ groß, wenn man den VW Touran gewöhnt ist.

Machbar ist es, sofern man nur ein oder zwei Kinder hat. Mit drei (Klein-)Kindern wird das nichts. Abstriche muss man beim Komfort allerdings machen. Und dann stellt sich die Frage, ob ein Auto für 90.000 € sinnvoll ist, wenn eine Familienkutsche für 25.000 € mehr Komfort für alle bietet.

Für mich käme ein Tesla Model S eher in Frage, wenn die Kinder schon etwas älter sind, mehr sehen, wenn sie aus dem Fenster schauen, ihnen nicht ständig was runterfällt, kein Rear-Boarder Kindersitz mehr nötig ist (da der Einstieg recht eng ist) und kein Kinderwagen mehr mitgenommen werden muss.

Ich werde zum Vergleich das Tesla Model Y für einige Wochen mieten, sobald es erscheint.


Schon ein hübsches Auto, das Tesla Model S

Allgemein, mein Eindruck vom Tesla Model S

Beschleinigung: Ein absoluter Traum. Kenne ich normalerweise nur vom Motorrad, dass man mal eben irgendwo vorbeiziehen kann. Wobei ich ja auch sonst keine 500-PS-Karre fahre und es mir an Vergleichsmöglichkeiten für übermotorisierte Fahrzeuge fehlt. Allerdings muss man realistischerweise auch sagen, dass man gar nicht so oft dazu kommt, diese voll auszufahren und zu spüren. Meist eben nur bei Ortsausfahrten. Danach fährt man ja relativ konstant 80-120 km/h, je nach Verkehr und Straße. Vielleicht also doch besser in die Jahreskarte im Freizeitpark investieren und einmal die Woche Achterbahn fahren 😉

Autopilot: Auf der Autobahn sehr sehr angenehm, insbesondere bei zähflüssigem Verkehr. Das Ding fährt sich praktisch selbst, außer in Baustellen. Eine Hand immer locker am Lenkrad, etwas Druck ausüben, damit er nicht ständig meckert.

Überholmanöver sind mir viel zu langsam. Das muss das Auto vielleicht aus regulatorischer Sicht so machen, aber mindestens einmal gab es eine blöde Situation, wo der Autopilot auf der Autobahn stark abgebremst hat, um ein Auto auffahren zu lassen, anstatt einfach zügig auf die freie Spur nebendran zu wechseln. Das kommt sicher alles noch, aber vom aktuellen Stand her noch etwas nervig.

Innerorts ist der Autopilot aus meiner Sicht kaum zu gebrauchen. Ich fahre praktisch immer mit Tempomat, insbesondere in 30er-Zonen, damit ich nicht von den unzähligen Blitzern erwischt werde. Im Tesla Model S sind Tempomat und Abstandshalter kombiniert. D. h. wenn ich 30 km/h einstelle und das Model S ein parkendes Auto am Straßenrand wahrnimmt, geht es ziemlich in die Eisen. Dieses aggressive Bremsen ist mehr als nervig. Wünschenswert wäre ein Modus, der wirklich stur die Geschwindigkeit hält und ich dann selbst den Abstand kontrollieren kann.

Was ich ganz gut ignorieren konnte, meine Frau jedoch in den Wahnsinn treibt: Das ständige Gepiepe. Autopilot ein, Autopilot aus. Innerorts mache ich ihn ständig an und aus (aus den oben beschriebenen Gründen) und jedes Mal gibt es ein Signalton zur Bestätigung. Falls irgendwann mal eine Option zur Deaktivierung kommt – ich würde es sofort machen.

Darüber hinaus sehe ich nicht, dass wir in absehbarer Zeit autonomes Fahren der Stufe 4 oder 5 erreichen. Dafür wäre das Model S in den vier Wochen viel zu oft irgendwo reingefahren oder entlang geschrammt.

Ich bin außerdem nicht sicher, ob der von Elon Musk verfolgte Ansatz mit dem Kamerasystem wirklich die Zukunft ist. Die Argumentation ist ja, dass es mit menschlichen Augen auch geht. Richtig, allerdings kann jeder an seinem Smartphone beobachten, dass Kameras deutlich schlechter sind, wenn es Gegenlicht durch die Sonne gibt als die menschlichen Augen. Die Summe der Kameras macht vielleicht den Unterschied, ähnlich wie bei HDR-Fotografie. Wird man sehen.

Beispiel dazu: Bei einer Fahrt stand die Sonne sehr tief und hat die Kameras geblendet. Da ging der Autopilot in der Kurve plötzlich aus.

Bei einigen Fahrten waren morgens die Kameras vereist, so dass Assistenzsysteme nicht verfügbar waren. Damit wäre das Model S ein Schönwetterauto. Auf der anderen Seite hat es bei einer Nachtfahrt mit Regen und Nebel erstaunlich gut die Spur gehalten.

Verarbeitung: Hatte ich nichts zu bemängeln. Fand ich völlig okay. Einzig störendes Manko: Keine Seitentaschen in der Fahrer- und Beifahrertür. Der gesamte Mittelbereich ist auch irgendwie komisch. Da ist Tesla so super digital unterwegs und ich hab keinen richtigen Platz, um mein Smartphone abzustellen. Angeblich soll das aber verbessert werden.

Elektro / Infrastruktur: Bei einer längeren Fahrt war der Akku bei Ankunft fast leer. Im Zielort gab es allerdings keine so tolle Ladeinfrastruktur. Also habe ich das Model S an einer normalen Steckdose geladen. Da dauert die vollständige Ladung über 30 Stunden. Wer nach 8 Stunden Fahrt weiterfahren will, schaut in die Röhre.

Das würde ich allerdings noch als Early-Adopter-Probleme bezeichnen. Die Ladeinfrastruktur wird ja bereits massiv ausgebaut. Auf der anderen Seite genießen Elektroauto-Fahrer derzeit noch einige Privilegien: Kostenloses Aufladen und Premium-Parkplätze in einigen Parkhäusern. So direkt in Eingang-Nähe, laden mit 22 KW für lau. Schon nett.

Insgesamt ein schönes Erlebnis, allerdings bin ich (vorerst) mit unserem VW Touran völlig zufrieden. Für unsere Familiensituation reicht es. Dazu kommt, dass ich ohnehin zu 80 % Radfahrer bin und das Model S an genügend Tagen einfach nur vor der Tür herumstand. Was ich jedenfalls nie machen würde: Einen Kredit für so ein Auto aufnehmen. Dann lieber einen VW Touran und zwei E-Bikes mit Anhänger kaufen, wenn man noch keine hat 😉